Fachtag 2021

Übergänge begleiten – Familien unterstützen und stärken

12. Mai 2021

Der Fachtag konnte aufgrund der aktuellen Lage leider nur online stattfinden. In der Akademie war jedoch ein tolles Studio aufgebaut. Wir bedanken uns hier nochmals recht herzlich für die wundervolle Unterstützung durch die Veranstaltungsfirma mad music.

Der Tag begann für uns mit rasch mehr werdenden, lachenden, manchmal fragenden Gesichtern in ca.170 Video-Kacheln auf den Bildschirmen. Um 9.45 Uhr holte uns Mike Schweizer mit dem Saxophon wundervoll aus dem Alltag heraus und in den Fachtag hinein. Susanne Haller, die Leiterin der Akademie, begrüßte um 10.oo Uhr alle Teilnehmer*innen. Sie widmete den diesjährigen Fachtag Prof. Dr. Dr. Dietrich Niethammer, der im Februar letzten Jahres in Tübingen verstorben war. Neben seinen medizinischen Verdiensten erwähnte Frau Haller besonders sein Buch „Das sprachlose Kind – vom ehrlichen Umgang mit schwer kranken und sterbenden Kindern und Jugendlichen“. In diesem Standardwerk der pädiatrischen Palliative Care brach er das bis dahin geltende Tabu und sprach direkt mit den betroffenen Kindern und Jugendlichen.

Hope for the best and prepare for the worst – Advance Care Planning in der Palliativversorgung von Kindern und Jugendlichen als iterativer Prozess

Von Professor Niethammer schlug Frau Haller den Bogen zu den Teilnehmenden und lobte den Einsatz der Caregiver in der Pandemie. Der Fachtag solle die Teams  nach diesem kräftezehrenden Jahr unterstützen und stärken.

Die erste Rednerin, die das Thema des Fachtages aufgriff, war Prof. Monika Führer. Frau Prof. Führer ist Professorin für Kinderpalliativmedizin und leitet das Kinderpalliativzentrum an der Ludwig-Maximilians Universität in München.

Hope for the best and prepare for the worst – Advance Care Planning in der Palliativversorgung von Kindern und Jugendlichen als iterativer Prozess“. Sie stellte den Weg der Münchner Kolleg*innen von der Pilotstudie PREPARE, die vom BMBF (Bundesministerium für Bildung und Forschung) gefördert wurde, zum fast fertigen ACP (Advance Care Planning)-Programm MAPPs (Modulares Advance Care Planning Programm für die Pädiatrie) vor. Begonnen hat sie ihren Vortrag mit den juristischen Grundlagen, Hürden und Chancen der Vorausplanung von Behandlung.

Weiter stellte sie den Weg von Idee über Workshops mit Eltern bis hin zu fertigen Dokumenten vor. Die Arbeitsgruppe, Prof. Dr. Gian Domenico Borasio, Dr. Birga Gatzweiler, Prof. Dr. Monika Führer, Vedrana Zaimovic, Dr. Kathrin Knochel, Dr. Kerstin Hein, Dr. Julia Gramm, Dr. Anna Monz versteht ihr Programm vor allem als ein regelmäßiges Gesprächsangebot an die Familien. Die Befähigung der Eltern Entscheidungen mit ihren und/ oder für ihre Kinder zu treffen ist das zentrale Ergebnis dieses Prozesses. Am Ende dieses Jahres starten in München Coaching-Veranstaltungen zum MAPPs-Programm, bei denen sich Fachkräfte weiterbilden können.

Being the child’s companion at the end of life: Weaving meaningful pathways

Den zweiten großen Teil des Vormittages gestaltete Prof. Danai Papadatou, Ph.D. Professor für klinische Psychologie, Abteilung für psychische Gesundheit und Verhaltensstudien, Fakultät für Krankenpflege, Nationale und Kapodistrianische Universität Athen.

Prof. Papadatou ist außerdem ein Gründungsmitglied und Präsidentin des Vorstands von „MERIMNA“. Diese Organisation bietet kostenlose Dienstleistungen für die ganze Familie im Trauerfall und pädiatrische Palliative home care an. „Merimna“ bietet spezialisierte Schulungen für Fachleute an, die in den Bereichen Gesundheit, psychische Gesundheit und Bildung tätig sind, und sensibilisiert die griechische Gesellschaft für Themen im Zusammenhang mit Verlust, Trauer und Hinterbliebenen.

Ihr erster Vortrag „Being the child’s companion at the end of life: Weaving meaningful pathways“ startete nach einer kleinen Pause, die wieder von Mike Schweizer und seinem Saxophon mitgestaltet wurde. Die Präsentation aus Athen war voll mit beeindruckenden Kinderbildern und Geschichten. Prof. Papadatou sprach von den Schwierigkeiten der Familien mit Kindern, die sich in einem Schwellenzustand befinden „nicht krank genug zu sterben, nicht gesund genug, um zu leben“. Sie seien oft mit dem Kopf abwesend, doch körperlich anwesend. Das Erwachsenwerden und das Sterben sind beides Übergangsphasen, die eine Neudefinition des eigenen Selbst, eine Bedeutungssuche und eine innere Neuorganisation erfordern. In beiden Phasen benötigen die Kinder eine sichere Basis und einen Raum, in dem sie geschützt und gehalten werden. Um so die Möglichkeit zu haben erforschend und neugierig auf die Welt zuzugehen. Danai Papadatou hat uns dankenswerter Weise folgenden Artikel „Weaving meaningful pathways through the end of a child’s life“ zur Verfügung gestellt.

Die Mittagspause verging wie im Flug – für die Akademie mit einem leckeren Imbiss vom Kulturwerk Ost. Die Foren starteten um 13.45 Uhr.

Foren

Forum 1

Forum 1: MAPPS- ein modulares Konzept für die individualisierte Vorausplanung von Therapieentscheidungen mit Dr. Kathrin Knochel

Zum Einstieg erläuterte uns Frau noch einmal den Begriff Advance Care Planning (ACP) und die dazu gehörigen deutschen Übersetzungen, die nicht ganz passend sind, da die Bedeutung des „care“ Begriffs nur unzureichend übersetzt werden kann. Im weiteren Verlauf wurden der geschichtliche Hintergrund von ACP vom Erwachsenenbereich zur seit 2009 international entstehenden Entwicklung in der Pädiatrie sowie die damit verbundenen Herausforderungen und juristischen Besonderheiten dargestellt. ACP ist ein offenes Angebot! Frau Dr. Knochel ermutigte dazu, Familien auch erneut ein Angebot zu machen, wenn es bereits abgelehnt wurde.

Frau Dr. Knochel gab uns einen Einblick in den aktuellen Stand der Forschung, stellte qualitative Studien vor, die als Grundlage des Modularen Advance Care Planning-Programms dienten und beschrieb das methodische Vorgehen zu dessen Entwicklung. Nachfolgend ging sie auf die Inhalte der einzelnen Module ein (Vorbereitung- Erstgespräch- zentraler Gesprächsprozess- Zulassung- Implementierung sowie die transversalen Themen) in deren Zentrum das betroffene Kind steht und präsentierte Materialien und Dokumente für Fachpersonal und Infomaterial für Eltern. Die Bedeutung des shared decision making kam hier nochmal deutlich zum Ausdruck. „It takes two to tango“. Wichtig ist es alle Perspektiven zu betrachten. Die Wahrnehmung der Situation – hierzu blieb die bekannte optische Täuschung in Erinnerung, welches je nach Blickwinkel eine alte Dame oder junge Frau zeigt. In der Pädiatrie spielt darüber hinaus das Kind noch eine zentrale Rolle.

Anhand eines Fallbeispiels zeigte uns Frau Knochel Möglichkeiten und damit verbundene Voraussetzungen auf, um das betreffende Kind in den Prozess mit einzubeziehen. Es geht weniger um das ob, sondern vielmehr um das wie!

Eltern sind Experten ihrer Kinder, jedoch sollten wir uns unserer Verantwortung und Aufgaben als Caregiver immer bewusst sein!

Frau Dr. Knochel stellte uns noch folgende Artikel zum Nachlesen und Vertiefen zur Verfügung: Vorausplanung von Behandlungsentscheidungen bei Kindern und Jugendlichen: Neue Perspektiven durch das Konzept Advance Care Planning (ACP) und Vorausschauende Behandlungsplanung in der Kinderheilkunde.

Forum 2

Forum 2: How can you do this job? It must be so hard! Challenges and opportunities in pediatric palliative care mit Danai Papadatou

Prof. Papadatou stellte mit vielen Bildern und eigenen Geschichten gespickte, zehn Punkte vor, die die Caregiver für ihre Arbeit rüsten. Als Beispiele haben wir folgende Punkte aufgeführt:

  • Palliative-Care-Wissen und Fähigkeiten
  • „shared intersubjective space“ = auf Augenhöhe arbeiten
  • Kinder sind verletzlich und widerstandsfähig, das heißt, sie brauchen Schutz und ehrliche Ansprache
  • die Fähigkeit, sich der Idee und der Realität des Todes zu stellen – wir gewöhnen uns nicht an den Tod!
  • die Anerkennung meiner eigenen Leidensgeschichte
  • Resilienz (Widerstandsfähigkeit) verbirgt sich in unserer Fähigkeit verletzlich zu sein. Mit sich selbst gefühlvoll und beschützend sein. Stichwort: „selfcompassion“.
  • Die Fähigkeit zu Empathie und Compassion (Mitgefühl)
  • Interdisziplinäre Team-Arbeit als größte Chance. Supervision ist notwendig
  • Führen und Leiten ist eine Kunst: Transformationale Führung bedeutet Visionen zu vermitteln, an gemeinsamen Werten und Zielen orientiert arbeiten
  • Organisations-Kultur: gemeinsame Fürsorge und Leidenschaft
  • echt, mitfühlend, reflektiert zu mir, der Familie, dem Team und der Organisation sein
Forum 3

Forum 3: werstkranke Kinder werden erwachsen! Herausforderungen und Möglichkeiten der Transition in der pädiatrischen Palliativversorgung mit Dr. Birga Gatzweiler & Prof. Monika Führer

Im Forum #3 haben uns Frau Prof. Führer und Frau Dr. Gatzweiler die Risiken und Chancen der Transition aus der Patient*innenperspektive, aus der Elternperspektive und aus der Fachkraftperspektive aufgezeigt: Der Übergang von der Kinder- und Jugendmedizin in die Erwachsenenmedizin stellt für alle Beteiligten eine bedeutende Schwelle dar. Auch viele offenen Fragen wurden gemeinsam eruiert: ist Transition für alle Kinder und Jugendliche das Richtige? Wie und wann kann Transition gelingen? Der Austausch mit und unter den Teilnehmer*innen des Forums war sehr lebendig: der Nachmittag war eine gute Mischung aus fachlichem Input gekoppelt mit vielen Fragen, Lösungsideen und Wünschen für die Zukunft der Palliative Care für Kinder und Jugendliche.

Forum 4

Forum 4: Möglichkeiten der Reflexzonentherapie am Fuß nach H. Marquardt als Therapie- und Begleitangebot in Hospiz und Palliativeinrichtungen mit Roswitha Werner

Roswitha Werner gab in ihrem Forum einen Überblick über Geschichte, Entwicklung, Umsetzung und Wirkweise der Fußreflexzonen-Therapie℗. Ein Schwerpunkt bildete die Behandlungsform nach Hanne Marquardt. Die ehemalige Kinderkrankenschwester arbeitet als selbständige Heilpraktikerin und ist einen Tag die Woche mit ihrem Angebot im Kinder- und Jugendhospiz Stuttgart. Ihre Behandlung wirkt symptomlindernd und erhöht die Lebensqualität der Kinder. Auch Eltern und das Team des Kinderhospizes dürfen sich von Frau Werner verwöhnen lassen. Für jeden Patienten*in sucht sie zuerst ein passendes Öl und erforscht dann den Fuß. Sie streicht, drückt und knetet die Reflexzonen in einer festgelegten Reihenfolge. Der Therapie zugrunde liegt die Erkenntnis, dass der menschliche Körper seine Analogie im Fuß findet. Der rechte Fuß entspricht der rechten Körperhälfte, der große Zeh ist der Kopf, der Ballen die Wirbelsäule, usw.

Die Fußreflexzonentherapie aktiviert Entspannungsvorgänge im ganzen Körper. Zudem ist sie oft leichter anzunehmen als eine Massage des Rückens.

Nach den Foren trafen sich alle Teilnehmer*innen wieder im Plenum und lauschten erst Mike Schweizer und dann Regine Süsser, Elena Stürmer, Barbara Strohal und Katja Gorhan, die aus den Ergebnissen der Foren berichteten.

Frau Haller sprach die Hoffnung aus, dass das Ziel des Fachtages, neue Wege zu entdecken und Inspiration, Stärkung sowie Gelassenheit für die Begleitung zu erhalten, erreicht worden sei. Sie entließ alle Teilnehmenden mit den Worten: „Hoffnung ist die Kraft, über das Hier und Jetzt hinauszusehen“.

Wir bedanken uns bei allen Referentinnen und Mike Schweizer für die Gestaltung dieses gelungenen Fachtages. Und wir freuen uns darauf SIE am 02. März 2022 im Hospitalhof zum Thema „In Hoffnung und Trauer“ live wiederzusehen.